Sonntag, 28. Oktober 2018

Die Straßen von Dar Es Salam

Man muss nicht Springsteens Philadelphia hören, um bei einer Fahrt durch die Straßen Dar Es Salams eine melancholische Stimmung zu bekommen.

Springsteen singt
Ain't no angel gonna greet me.
It's just you and I my friend.*
Auf der einen Seite: Dass die Menschen dort allein seien, kann man nun wirklich nicht sagen. Die Straßen sind voll, übervoll mit Menschen & Leben! Gerade in den ärmeren Gegenden. Ob das jetzt per Definition (wer definiert?) Slums waren, was wir da gesehen haben? Es fühlte sich so an.

Es war jedenfalls immer etwas los. Hier standen Menschen und redeten, überall Hütten und Sonnenschirme in und unter denen, etwas verkauft, getauscht oder verhandelt wurde. Kinder spielten: Mit Fußbällen, mit umfunktionierten Dingen, mit Müll. An vielen Stellen brannte ein Feuer. Manchmal wurde darüber etwas gegrillt und gekocht und manchmal wurde Müll verbrannt. Nicht auszuschließen, dass mit Hilfe desselben Feuers auch mal zeitgleich beides passierte.
Nein, allein sind die Leute nicht. Weit weg sogar von "just you and I"! Vielmehr hatte ich das Gefühl, dass man hier niemals allein sein kann. Das deckt sich auch mit den Erfahrungen in den Familien: Viele Kinder, Eltern, manchmal Großeltern in einem Haus; mehr Betten als Schlafzimmer. Dazu teilweise Cousinen, Cousins, HaushelferInnen, ... immer was los. Privatsphäre, so kommt es mir im Nachhinein vor, ist ein seltenes Gut. Mindestens in Dar Es Salam, vielleicht ist das auch sinnbildlich für die Gesellschaft insgesamt dort. (Jetzt beginnen allerdings Mutmaßung und Interpretation.)

Auf der anderen Seite sind die Menschen in "Dar" sehr gläubig. Entweder christlich oder muslimisch. Nach allem, was ich beurteilen kann, hadern sie gar nicht so sehr mit ihrem Schicksal (hier meine ich vor allem Armut). Geben nicht Gott oder anderen Gesellschaften from outside die Schuld. Sie sahen - um ehrlich zu sein - nicht sonderlich unglücklich aus an diesen Orten und mit diesem Leben.
Ich fühle mich schlecht, wie auf einer verkackten Messerklinge, wenn ich beurteile und bewerte - was ich fast automatisch tu' - was meine Sinne dort wahrnehmen: Mit der mitteleuropäischen Überheblichkeit (weil ich ja meinen 'Standard' als Vergleichspunkt nehme(n muss)), mit der ich fast automatisch und wie angeboren auf Menschen in finanziell ärmeren Ländern mitleidig blicke. Und mit der Geborgenheit, die verlässlich fließendes Wasser, sortimentstarke Supermärkte und ein gut gefüllter Ordner mit Versicherungspolicen in mir hervorrufen.
Mitleid und der Vergleich mit der eigenen Geborgenheit, um nur mal zwei starke Gefühlsbereiche (oder besser -ketten) zu nennen. Es gäbe ein Dutzend weitere und überhaupt ist dieser Text schwer zu schreiben, ohne in einem Satz weitere Worte zu nutzen, die im Grunde wieder erklärt, eingeordnet oder diskutiert werden müssten... - es kann hier also alles nur unvollständig bleiben.

Zurück zu Bruce. Wo sind die Engel an diesen Orten? Wo ist Gott im Angesicht von so viel Glaube? Lässt Gott die Menschen hier - wie es auf den ersten Blick scheint - allein?
Die Menschen wirkten auf mich so, als hätten sie sich mehr als arrangiert: Es ist ihr Leben. Sie sehen nicht unglücklich aus. Sie machen das beste daraus. Das will und darf ich zumindest hoffen. (hier steht bewusst nicht "sie kennen es ja nicht anders" - denn das ist eine fiese, vielleicht zynische Floskel)

Als Christenmensch glaube ich auch nicht, dass Gott nicht an diesen Orten wäre. Ich glaube nicht, dass er die Menschen allein lässt. Er gibt ihnen Zuversicht und Hoffnung, wo wir Versicherungen und feste Öffnungszeiten benötigen. Und er hat sie gesegnet mit einer besonderen Form familiären Zusammenhalts. Vielleicht - das will ich eigentlich sogar stark hoffen - ist Gott hier sogar viel präsenter als an anderen Orten. Aber das ist für mich vielleicht schon gar nicht mehr richtig sichtbar.

Die Menschen geben sich Mühe, in ihrem Umfeld selbst ein Engel zu sein. Sie helfen einander, geben aufeinander Acht. Gerade in den Familien haben wir das am eigenen Leib gespürt. Genauso auf unseren Unternehmungen, wenn unsere tansanischen Freunde mal wieder sehr stark auf uns aufgepasst haben. It felt like God has sent his Angels.


Was bleibt also von diesem Bild auf den Straßen Dar Es Salams?
Die Menschen haben sich selbst. Und Gott.
Ansonsten schert sich aber scheinbar (so gut wie) niemand darum, was hier passiert.
Und damit gilt aus Sicht der Menschen - wenn sie ihren Blick aus ihrer eigenen Umtriebigkeit herausstrecken - irgendwie eben doch: it's just you and I.
From the outside no one cares.
Und das macht mich am Ende dann eben doch wieder traurig. Mitteleuropäische Überheblichkeit hin oder her.

Seba

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*In Springsteens Klassiker geht es um AIDS. Ehrlich gesagt haben wir über dieses Thema übrigens so gut wie nichts gehört. Ich persönlich nur in einem Satz unseres Gast-Cousins: "Malaria kills more people than AIDS."


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