Mittwoch, 31. Oktober 2018

Eindrücke und was es sonst noch zu sagen gibt – meine tansanische Geschichte

Blaues Wasser und weißer Strand – aber keiner schwimmt
Viele Autos – aber fast keine Straßen
Viele Menschen – aber keine Adressen
Eine riesige Stadt – aber keiner kommt zum shoppen
32 Grad und Sonnenschein – und doch ist es kein Urlaub…

Nein, viel mehr ist es eine Erfahrung – eine Erfahrung, die mich am Ende unserer Reise erkennen ließ,
dass uns nicht die Dinge ausmachen, die wir haben, dass es nicht der Reichtum ist, der uns zu dem
macht wer wir sind – es sind unsere Erfahrungen, unsere Offenheit und viel mehr die Erkenntnis,
dass Glück soviel mehr bedeutet, als ein riesiges Frühstücksbuffet oder ein eigenes Auto. Das Glück
liegt in so vielen kleinen Dingen.
Vor Reisebeginn habe ich mir viele Gedanken gemacht. Eine Reise in ein „dritte Welt“ Land – einen
Ort mit geringer medizinischer Versorgung, andere Ess- und Lebensgewohnheiten. Was packe ich
ein? Was nehme ich mit? Medikamente, lange Hosen, T-Shirts, einen Pulli, Sandalen, feste Schuhe
und mein Waschzeug. Die Aufregung und die Bedenken waren meine Begleiter auf der Hinreise.
Krankheit, Unterkunft, Hygiene. Alle meine häuslichen Standards stellte ich in Frage. Aber ich war
sicher, genügend vorgesorgt zu haben. Meine erste Reise mit der ev. Jugend Frömern und doch
waren wir immer ein Team. Viele Charaktere und neue Freundschaften.
Heute kann ich sagen, dass die Reise mir einen ganz neuen Blick auf meine Welt verschafft hat.
Erinnerungen, die hoffentlich noch lange Zeit meinen Lebensweg begleiten werden.
Vom ersten Tag an habe ich gelernt das Land und seine Bewohner immer mehr begreifen zu lernen.
Freundschaft bedeutet Zusammenhalt, Rücksichtnahme, Herzlichkeit und Sicherheit. Sei es das erste
Gebet am Flughafen, eine herzliche Umarmung an jedem Tag, unzählige Gespräche, die einen immer
tieferen Einblick in das dortige Leben ermöglichten oder ein wachsames Auge. Jeder von uns war
nicht nur einfach ein Besucher – nein, wir waren von Anfang an Teil der Familien – Brüder und
Schwestern.
Ich hatte nicht einen Moment in dem ich mich allein gefühlt habe. Ich habe eine kleine Schwester (7)
und einen kleinen Bruder (9) bekommen. Zwei unheimlich bezaubernde Kinder, die mich die Welt
plötzlich ganz anders sehen ließen. Eine Tafel Kinderschokolade und ein Malbuch machten ihren Tag
einfach vollkommen. Leuchtende Augen und eine riesige Freude über unsere Anwesenheit waren
jeden Tag wieder überwältigend.
Ein sehr einprägendes Erlebnis war der Besuch der Sunday-School. Meine neuen Geschwister waren
auch Teil des Unterrichtes dort. Wir brachten allen Kindern Luftballons mit. Viele von uns pusteten
welche auf – für jedes Kind sollte es mindestens einen Luftballon geben. Doch dann passierte das
Unerwartete. In meinem „deutschen Denken“ ist der Luftballon einfach ein Luftballon – ein
gummiartiger mit Luft gefüllter Ball, der schwerelos durch die Luft gleitet, ein Alltagsgegenstand, der
doch so oft in meinem Leben vorkam. Für diese Kinder war ein Luftballon viel mehr – etwas ganz
Besonderes. Für manche war es etwas, was sie nur selten oder noch gar nicht kannten, einfach etwas
mit dem sie unglaublich toll spielen konnten und es einfach in ihrem alltäglichen Leben nicht gibt –
keine Luftballons an Geburtstagen, keine Luftballons auf einer Kirmes. Dieser gummiartige mit Luft

gefüllter Ball war ein absolut großartiges Erlebnis für alle dieser kleinen Wesen und wir standen
mitten in diesen vielen kleinen Menschen, für die wir die Helden waren – aufgrund von Luftballons.
Leuchtende Augen, so viele lachende Kinder, unzählige „high five´s“ – ich war Teil von einem kleinen
ganz großen Glück. Ein unvorstellbares Gefühl, dass es heute noch zu begreifen gilt – und mitten in
all diesen Erlebnissen meine neue kleine Schwester, die so stolz war, mich zu kennen.
Ich habe auch noch einen weiteren Bruder (36) bekommen. Ich erinnere mich nicht nur gerne an
seinen Geburtstag, sondern auch an sehr tiefreichende Gespräche. Ein Gespräch hat mich sehr
berührt. Homosexualität – „It doesn`t exist in tanzania“ – ein Satz, der eine unumgängliche Wertung
enthält. Er berichtete, dass es Liebe unter Gleichgeschlechtlichen nicht gibt und dass er zwar weiß,
dass es Menschen gibt, die es heimlich doch tun, doch hier in diesem Land ist es nicht gestattet. Es ist
ein Verbrechen und man kommt ins Gefängnis. Wir erzählten von Deutschland; erzählten, dass es
normal ist. Wir erzählten, dass Männer Männer und Frauen Frauen lieben und das auch dürfen. Das
es normal ist sich zu zeigen, ein Haus zu bauen, Kinder zu adoptieren, Hand in Hand durch die
Straßen zu gehen – dass jeder den Menschen an seiner Seite haben darf, den er liebt und das
Geschlecht keine Rolle spielt und sogar eine Hochzeit möglich ist. Ungläubig und mit Tränen in den
Augen sah er uns an und das einzige was er sagte war: „And you all life together in peace?“ Und ich
entgegnete „Yes, of course“. Und er wiederholte seine Frage nochmal und wir bestätigten es, dass es
einfach möglich sei. Er ist 36 Jahre alt und es war für ihn kein Unding was wir ihm erzählten, vielmehr
war es so, als ob wir von einer Welt erzählten, an die er noch nie gedacht hat. Ein magischer
Moment, der mir wirklich unter die Haut ging. Ein Mensch in meinem Alter, der mich fragte, ob wir
alle in Frieden zusammenleben.

Nun sitze ich wieder zu Hause, im Wohnzimmer auf der Couch, aber diese Reise lässt mich nicht los.
Viele Fragen in meinem Kopf – ein 9-jähriger kluger Junge – hätte er hier bessere Chancen, wäre er
hier glücklicher? – ein 36-jähriger junger Mann – würde er hier jemand anderen Lieben?
Ich habe keine Antworten auf all diesem Fragen, aber ich weiß, dass diese Menschen – meine
tansanische Familie - glücklich sind. Glücklich in ihrem kleinen Haus, mit einer Dusche mit kaltem
Wasser, einem Ventilator, Weißbrot und Honig zum Frühstück, mit Möbeln, die mich an die Möbel
meiner Oma erinnern. Sie brauchen kein Auto, keine Markenklamotten, keinen akkuraten Garten,
keine Waschmaschine oder ein magnetisches Kochfeld. Sie sitzen jeden Abend zusammen, schauen
Fernsehen, unterhalten sich oder bereiten das Essen für den kommenden Tag vor. Sie sind
zusammen und sie sind glücklich.
Die erste warme Dusche nach Ankunft, meine große Pizza Salami, unser Sofa und ja, auch das
Toilettenpapier waren für mich riesige Freuden als ich Heim kam. Ich stand in unserem kleinen
Zuhause mit dem Mann an meiner Seite, den ich über alles liebe, hielt am nächsten Tag mein
Patenkind und meine besten Freunde in den Armen, ich habe mit meiner Familie gesprochen und
selbst jetzt freue ich mich über genau diese kleinen Dinge, die mein Leben so vollkommen machen,
sie sind Teil meines persönlichen ganz großen Glücks und diese Reise hat mir ganz klar gezeigt wie
wertvoll all diese Menschen und mein Zuhause für mich sind.

Cristien




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